Der Dadaist Kurt Schwitters montierte in seine Arbeiten Fundstücke wie Fahrkarten oder Textilreste, Marcel Duchamp erklärte ein Urinal zum Kunstwerk. Diese Künstler wollten mit ihren Werken provozieren und die traditionelle Kunst in Frage stellen. Nichts liegt Recep Vardar ferner.
Während Duchamp einen beliebigen Gegenstand aus der Fülle von Gegenständen herausgriff, um diesen an die Stelle des Kunstgegenstandes zu setzen, benutzt Recep Vardar bewusst den zu seinem Werk passenden Korken, so wie er bewusst Farbe, Draht und Klebstoff kauft. Ein reines objet trouvè, das unverändert, allein durch seine Präsentation, in den Rang eines Kunstwerkes erhoben wird, gibt es nicht bei ihm. Es handelt sich um eine willentliche Auswahl, die mit seinem Interesse an bestimmten Formen erklärt werden kann und bei der der Gegenstand in einen anderen, neuen künstlerischen Zusammenhang integriert ist. Recep Vardar hinterfragt die Form des Materials und komponiert eine Konstruktion. Dabei spielt die Farbe des Korkens eine wichtige Rolle, sowohl die Farbe des Ursprungsmaterials, als auch die später entstandene rötliche Färbung durch den Wein, und darüber hinaus ist auch der Aufdruck interessant.
Die einzelnen Montageelemente des Korkens geben ihre ursprüngliche Bedeutung auf, machen sie aber nicht vergessen und vermitteln dem Betrachter eine neue Wahrnehmung. Recep Vardars Plastiken sind der Objektkunst zugehörig, eine typische Gestaltungsweise der Moderne. Statt Alltagsdinge abzubilden, werden industriell gefertigte Dinge – in diesem Fall Korken – als Material für die Kunstwerke genutzt. Es entstehen in der Fläche Collagen, im Raum Montagen.
Die Surrealisten entdeckten das Phänomen, dass die Annäherung von zwei oder mehreren scheinbar wesensfremden Gegenständen die stärksten Zündungen provoziere, so Max Ernst. Je willkürlicher die Elemente zusammenträfen, um so sicherer geschähe eine Umdeutung der Dinge durch den überspringenden Funken der Poesie.
Für Recep Vardar ist die Arbeit mit dem Korken keinesfalls ein Spiel mit ästhetischen Wirkungen und optischen Effekten, er experimentiert nicht mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Wahrnehmung, er bezieht Stellung. Er bezieht Stellung gegenüber dem Menschen zu seiner Umwelt, die aus den Fugen zu brechen droht, er zeigt den zerstörerischen Menschen, meist aber die geschundene Welt.
Titel wie ‘Massenspaltung’, ‘Quantencomputer’, ‘gespaltene Verbindung’ lassen seine Beziehung zur Physik deutlich werden und geben einzelnen Zyklen einen gemeinsamen Bedeutungshintergrund, ohne aber die Assoziationsmöglichkeit eines Betrachters auszuschließen. Recep Vardar ist ein Meister des Weglassens und vieles ist nur angedeutet. Dennoch ist vieles aufgegriffen und gerade durch diese Reduktion werden die Probleme der menschlichen Existenz und die gesellschaftliche Wirklichkeit offenbar.
Das künstlerische Werk Recep Vardars hat sich in den letzten Jahren beständig weiterentwickelt und besticht durch stilistische Sicherheit und unglaublichen Einfallsreichtum. Der Künstler verfügt ohne jeglichen Zweifel über immense künstlerische Begabung, die er mit bewundernswerter Sicherheit und begnadeter Intuition in einem Wandbild oder in einer Plastik zusammenfasst und es gelingt ihm immer wieder, faszinierende Kunstwerke zu schaffen. Mal geht er von einem Konzept aus, mal lässt er sich führen und mitreißen, um dann wie in einem Rausch mit scheinbar magischer, suggestiver Kraft ein Bildwerk zu schaffen. Schönheit und Angst ist spürbar, ebenso wie Körper und Seele, manchmal gelacht, manchmal geschrien.
Text: Dr. phil. Josef Gülpers, Kunsthistoriker