RECEP VARDAR
RECEP VARDAR
Modulare Bausätze für ein aufmerksames Leben
Recep Vardar hat sich den Korken verschrieben. In seinem künstlerischen Werk lotet er systematisch die gestalterischen und assoziativen Möglichkeiten aus, die verschiedene Sorten von Korken ergeben. Das sind durch die fabrikmäßige Produktion in Kork oder Kunststoffmaterial
zunächst mal Farbnuancen und Formvarianten. Flaschenpfropfen, Wein- oder Sektkorken gibt es in verschiedenen Dimensionen und Erhaltungszuständen. Was als Beschränkung des Vokabulars erscheint, fordert um so mehr die Kreativität und die Assoziationsfähigkeit heraus, der sich Recep Vardar ideenreich stellt. In schneller Folge erarbeitete er sich in den letzten Jahren die Ausdrucksfähigkeit dieser durch Draht und Klebstoff stabilisierten Rohlinge.
Die ersten Gehversuche mit diesem Ausgangsmaterial, das ausschließlich zu verwenden sich Recep Vardar als Alleinstellungsmerkmal entschlossen hatte, waren noch von Gruppierungen vollständiger Korken geprägt. Als Pixelmuster, Farbabstufungssequenz oder Höhenrelief brachte er die
unveränderten Korkenrohlinge durch Sortiervorgänge in eine grafische, minimalistische oder dekorative Bildwirkung. Die Korken wurden dicht an dicht auf Holz, Metall oder spiegelndes Glas aufgeklebt. Sodann spielte er freie Formgefüge durch. Nach Erprobung und erfolgreicher Suche in der Klebetechnikbranche fand er einen haltbaren und belastbaren Klebstoff für verschiedenen Untergründe, der seitdem neben Metalldraht zur Anwendung kommt.

Die nächste Erweiterung des Spektrums kam durch Bemalung und schließlich farbliche Tränkung von Korken, die dabei dennoch ihr metamorphes und poröses Erscheinungsbild behalten. Was damit an kompakten Bildgruppen entstand, nahm schnell seinen Weg über eine Reliefstruktur in freie plastische Gestaltung von Drähten gehaltener Gebilde figürlicher oder abstrakter Anmutung, in die nach und nach auch Realien eingeflochten wurden.

Parallel wurden die Korken segmentiert, in Scheiben geschnitten, längs halbiert, eckig beschnitten oder schließlich komplex zerteilt und wie Kettenglieder aufgedehnt. Die so errungene Anwendungsmöglichkeiten setzt Recep Vardar ein, um in Auseinandersetzung mit Empfundenem,
Tagespolitischem, philosophischen oder wissenschaftlichen Themenkomplexen Gebilde zu entwickeln, die über eine passende Formgebung dem Betrachter die gewünschte sozialkritische
Aussage nahebringen. Dazu tragen auch die anspruchsvollen Titel bei, die sich auf die Befindlichkeit des Künstlers beziehen (Materialisierte Trance),
auf gesellschaftliche Phänomene (Eiskalter Boom, Entfesseltes Wachstum), formale Erscheinungen (Florales Volumen, empor schwelgende Choreographie) oder politische Gegebenheiten (Mali, Gestrandete Stämme, Lampedusa).
Eindeutig wendet er sich gegen Missstände, Gewinnsucht, Ausbeutung, Flüchtlingselend, Religionskriege, Eintönigkeit, aber zeigt auch Lebensfreude und vielfältige Natur. Nicht nur als Mediennutzer, sondern auch durch persönliche und berufliche Erfahrungen, etwa in der Betreuung
hilfsbedürftiger und alter Menschen oder als Geschäftsinhaber, sind ihm diese Lebensvorgänge sehr nahe gegangen und haben zu seiner Haltung geführt, mit seinen Arbeiten wachzurütteln und Anteilnahme zu erzielen. 2015 und 2016 sind daraus umfangreiche und volumenhaltige Arbeiten entstanden, die als Raumplastiken eine ausgreifende Dynamik entfalten.
Dabei gibt es florale, sich entfaltende Erscheinungsbilder, die Bäumen oder Blumensträußen nahe kommen. Wachstumsassoziationen und aufstrebende Stelenstrukturen bilden Köpfe oder körperhafte Gebilde aus. Gebündelte Kettenglieder hängen in Form einer Rakete von einer den
Abschluss bildenden Schüssel herab. Durch figurativen, fast akrobatischen Charme, tentakelige Lebendigkeit und mitunter schwereloses Driften entwickelt sich eine freie Dynamik der Objekte, die zum Umrunden und zur Detailbetrachtung Anlass geben, denn in ihnen findet farblich und formal großer Reichtum, bzw. passende Beschränkung ihren Ausdruck.
Stets gibt es ein Spiel mit Farbdurchmischungen in einem festumrissenen Spektrum anfangs weniger und dann immer intensiver werdender Farbdifferenzierungen. Je nach Formgebung und inhaltlicher Aussage sind die Farben abgestimmt: mal im Umfeld von Naturbraun, weiß, schwarz
und grau, mal in Farbpaarungen, mal in farbiger Vielfalt. Auch in der tiefenräumlichen Erstreckung sind die Verteilungsmuster kompositorisch gut austariert. Sich teilweise freien abstrakten Plastiken annähernd, zeigen ihre erzählerischen oder formanalytischen Gebärden, Durchdringungsmuster, Verkettungen, Spiralläufe, Stapelungen, Hirnwindungen, Analogien zu DNA-Strängen oder Gerippen. Mit diesen Modulen vermag Recep Vardar die Plastik durch abstrahierte und freie

Formen figürlicher und gegenständlicher Anmutung aussagekräftig zu erweitern. Vitalität und Energie gehen auf jeden Fall von ihnen aus. Das ist schon länger kein banales formales Spiel mit einem aus der Herabwürdigung herausgerissenen Korken-Material mehr. Wieviele Gedankengänge den freien Konstrukten eingebunden sind, vermitteln die Titel und Erläuterungen des Künstlers im Folgenden.

Text: Dr. Dirk Tölke
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